CICEROS "DE NATURA DEORUM"

Existenz, Glückseligkeit und Ewigkeit der Götter nach Epikur (1, 43-45)

(43) Wer betrachtet, wie unüberlegt und planlos diese Lehren gesagt werden, müsste Epikur verehren und zur Zahl derer gehören, um die es bei diesem Problemkreis geht. Er allein hat nämlich als erster die Existenz von Göttern gesehen, weil die Natur selbst die Vorstellung an sie in die Seelen aller eingeprägt hatte. Was ist das für ein Volk oder eine Menschenrasse, die nicht ohne eine Lehre eine Allgemeinvorstellung an die Götter habe, die Epikur prolepsis nennt, d. h. eine in der Seele vorweggenommene Vorstellung an ein Thema, ohne die man nichts verstehen, fragen und diskutieren kann. Die Bedeutung und der Nutzen dieser Lehre haben wir aus dem himmlischen Werk des Epikur "De regula et iudicio" empfangen.

(44) Was also die Grundlage dieses Problemkreises ist, das seht ihr hier offen dargelegt. Weil nämlich die Meinung nicht durch irgendeine Einrichtung, eine Sitte oder durch ein Gesetz begründet ist und die Übereinstimmung ausnahmslos stark blieb, muss man notwendigerweise die Existenz von Göttern einsehen, weil wir ja eingepflanzte oder besser angeborene Vorstellungen haben; worüber aber die allgemein verbreitete Erkenntnis übereinstimmt, muss notwendigerweise wahr sein; also muss die Existenz von Göttern bekannt werden. Weil dies ja nicht nur unter allen Philosophen, sondern auch Laien, bekannt ist, gestehen wir, dass auch zweitens feststeht, dass wir entweder diese Allgemeinvorstellung, wie ich schon vorhin gesagt habe, oder diesen Vorbegriff der Götter haben (neuen Gedanken müssen nämlich auch neue Namen gegeben werden, wie Epikur selbst es prolepsis gennant hat, was vorher niemand mit diesem Ausdruck genannt hatte).

(45) Diesen haben wir also, damit wir die Götter für glückselig und unsterblich halten. Diese Natur hat und nämlich den Begriff der Götter selbst gegeben, dieselbe hat auch in unsere Geister eingemeißelt, dass wir sie für ewig und glückselig halten sollen. Wenn das so ist, ist von Epikur diese Meinung richtig dargelegt worden, dass das, was glückselig und ewig sei, selbst keine Schwierig-
keiten mache und sie auch keinem anderen verursache, deshalb weder durch Zorn noch durch Gunst sich bestimmen lasse, weil alles derartige schwach wäre.
Wenn wir nichts anderes erstreben würden, außer dass wir die Götter fromm verehren und vom Aberglauben befreit werden, wäre genug gesagt; denn das überlegene Wesen der Götter würde durch die Frömmigkeit der Menschen verehrt, weil es ewig und glückselig ist (denn Herausragendes hat nämlich seine Verehrung zu Recht), und die ganze Furcht vor dem Zorn und der Gunst der Götter wäre vertrieben; man sieht nämlich ein, dass Zorn und Gunst mit einem glückseligen und ewigen Wesen unvereinbar sind; nach deren Beseitigung bestünde keinerlei Furcht mehr vor
den Göttern. Aber um diese Meinung zu bestärken, erforscht der Geist sowohl die Gestalt, als auch das Leben, als auch die geistige Tätigkeit und Regsamkeit eines Gottes.