CICEROS "DE NATURA DEORUM"

Physik, Theologie und Ethik bei Epikur (1, 50-56)

(50) Und gewöhnlich wollt ihr, Balbus, von uns wissen, wie das Leben der Götter ist und wie es von ihnen verbracht wird.

(51) Offenbar ist es so, wie man es sich nicht glücklicher und reicher an Gütern vorstellen kann. Er tut nämlich nichts, ist in keinerlei Beschäftigungen verwickelt, plagt sich mit keiner Arbeit herum, erfreut sich an seiner Weisheit und Tugend und hat die Gewissheit, dass er immer sowohl in den größten, besonders aber in den ewigen Freuden sein wird.

(52) Zu Recht könnten wir diesen Gott als glücklich bezeichnen, den eurigen aber als müßigsten. Sei es, dass der Gott die Welt selbst ist, was könnte weniger müßig sein, als sich ununterbrochen um die Himmelsachse mit einer bewundernswerten Geschwindigkeit zu drehen: nur das Ruhige ist glücklich. Oder sei es, dass irgendein Gott in der Welt selbst ist, der herrscht, der lenkt, der den Lauf der Gestirne, den Wechsel der Jahreszeiten, die Wiederkehr der Naturerscheinungen und den geordneten Wechsel bewahrt, der die Erde und die Meere betrachtet und das Leben und den Nutzen der Menschen schützt, ja dann ist er in lästige und mühevolle Arbeiten verwickelt.

(53) Wir aber sehen ein glückliches Leben in der Sorglosigkeit des Geistes und in einem Freisein von allen Aufgaben. Der, der uns übriges gelehrt hat, hat uns auch gelehrt, dass die Welt durch eine Naturkraft geschaffen worden sei, dass man dazu keinerlei Kunstfertigkeit gebraucht habe, und diese Sache, von der ihr sagt, dass sie ohne göttliches Geschick nicht bewirkt werden könne, so leicht sei, dass die Naturkraft unzählige Welten hervorbringen wird, hervorbringt und hervorgebracht hat. Weil ihr nicht seht, wie die Naturkraft dies bewirken kann, flüchtet ihr euch wie die Tragödiendichter zu einem Gott, wenn ihr den Gedankengang nicht lösen könnt.

(54) Seine Mühe würdet ihr gar nicht benötigen, wenn ihr die unermessliche und nach allen Seiten unbegrenzte Größe des Weltraums sähet, in die sich der Geist stürzt, versenkt und so weit und breit durchreist, dass er dennoch keine äußerste Grenze sieht, an er haltmachen kann. In diese Unermesslichkeit an Länge, Höhe und Breite schwirrt eine unbegrenzte Menge an unzähligen Atomen umher, die sich trotz der dazwischengeschobenen Leere aneinanderklammern und sich zusammenballen, indem die einen die anderen ergreifen; daraus werden diese Formen und Gestalten der Dinge bewirkt, die eurer Meinung nach nicht ohne Blasebälger und Ambosse bewirkt werden können. Deshalb habt ihr in unsere Nacken einen ewigen Herren gestellt, den wir Tag und Nacht fürchten sollen. Wer nämlich sollte nicht einen Gott fürchten, der alles voraussieht, überlegt, wahrnimmt, der meint, alles auf sich zu beziehen, ein Gott, der neugierig und voll von Aufgaben ist?

(55) Von daher ist bei euch zuerst jene folgenschwere Notwendigkeit entstanden, die ihr eimarmenh nennt, damit ihr sagen könnt, dass alles, was auch immer passiert, aus der ewig geltenden Wirklichkeit und lückenlosen Kausalreihe herleiten lässt. Wie sehr muss man aber diese Philosophie beurteilen, für die alles wie bei alten Weiblein, und zwar ungebildete, offenbar durch das Schicksal geschieht? Es folgt eure mantikh, die man im Lateinischen "divinatio" nennt, durch die alles mit so großem Aberglauben erfüllt wird, dass wir Opferschauer, Vogelschauer, Wahrsager, Seher und Traumdeuter verehren müssten, wenn wir euch erhören wollten.

(56) Wir aber sind von Epikur von diesen Schrecken gelöst und befreit und fürchten die, die unserer Einsicht nach sich keine Beschwerlichkeit suchen und auch einem anderen nicht suchen, nicht. Und wir verehren fromm und heilig die herausragende und vortreffliche Naturkraft.
Aber ich fürchte, dass ich zu weit gegangen bin- ich wurde vom Eifer hingerissen. Es wäre aber schwer, eine so wichtige und vortreffliche Sache halbfertig zu lassen; freilich hätte ich mein Interesse nicht so sehr auf mein Reden als viel mehr aufs Zuhören richten sollen."